Während meiner letzten Expedition durch den thailändischen Dschungel hatte ich erfahren, dass irgendwo in diesem Gebiet gerade etwas ganz Besonderes blühen sollte: Die Rafflesia anoldii, die größte Blume der Welt! Also machte ich mich auf den Weg, um diese Pflanze zu finden, die laut Botanikern zu den größten Wundern der Pflanzenwelt zählt. Der Grund: in den vergangenen sechs Millionen Jahren der Evolution hat Rafflesia das 79-fache ihrer ursprüngliche Größe erreicht. Hinzu kommt, dass man Rafflesia, die ihren Namen übrigens von ihrem Entdecker, Sir Thomas Stamford Raffles erhalten hat, lange Zeit botanisch nicht richtig einordnen konnte. Mittlerweile wird sie zu den Schmarotzerpflanzen gezählt. Zunächst dachte man, die Rafflesia sei eine Liane. Später fand man heraus, dass sie Lianen lediglich als Wirtspflanzen nutzt und eigentlich zu den Wolfsmilchgewächsen gehört.
Daher galt es auf der Suche nach der Rafflesia vor allem nach Lianen Ausschau zu halten. Deshalb an dieser Stelle ein paar Worte zum Thema Liane: Bei dem Wort Liane denken die meisten wahrscheinlich zunächst an Tarzan, der sich an einem seilartigen Pflanzenteil durch den Urwald von einem Baum zum anderen schwingt. Dadurch könnte der Eindruck entstehen, dass Lianen elastisch sind und vom Baum hängen. Dies ist allerdings falsch, denn Lianen sind Kletterpflanzen, die am Boden wachsen und Bäume nutzen, um sich ohne viel Energie zu verschwenden einen Weg aus dem schattigen Unterholz an die Sonne zu bahnen. Das Holz der Liane ist auch recht hart, so dass sich ein Tarzan-mäßiges Hangeln als sehr anstrengend darstellt. Die Liane will nichts anderes als an die Sonne, sie entzieht ihrer Trägerpflanze kein Wasser oder Nährstoffe, ist also kein richtiger Schmarotzer. Allerdings kann es sein, dass sie so sehr ins Kraut schießt, dass sie ihre Trägerpflanze so überwuchert, dass diese stirbt.
Es gibt übrigens auch Lianen, die als Heilpflanzen verwendet werden. Eine der Bekanntesten ist sicher die Katzenkralle. Diese Liane mit dem botanischen Namen Uncaria tomentosa ist mit krallenartigen Dornen ausgestattet und kann sich bis zu 30 Meter an den Regenwald-Bäumen empor ranken. Diese Liane kommt in den Wäldern Südamerikas vor und wird von den dortigen Eingeborenen, insbesondere den Ashaninka-Indianern schon seit vielen Jahrhunderten als Heilpflanze eingesetzt, z.B. bei Beschwerden in Magen, Darm, Nieren und Blase. In Deutschland wurde die Katzenkralle Ende der 60er Jahre durch den deutschen Forscher Oskar Schuler-Egg bekannt. Dessen Vater Don Luis lebte am Rande des peruanischen Regenwaldes und war an einem bösartigen Lungentumor erkrankt. Da schulmedizinische Heilmethoden keine Hilfe brachten, rieten die Indianer seinem Sohn, die Rinde der Liane auszukochen. Die Brühe sollte der Vater täglich trinken. Und siehe da: Der Tumor wurde zunehmend kleiner. Jahre später bestätigten Biologen der Universität Mailand, dass das Pulver aus der Wurzelrinde der Katzenralle das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, um bis zu 50 Prozent verringert. Hintergrund ist vermutlich der hohe Gehalt an Alkaloiden wie dem Isopteridin, das die Immunkraft stärkt und weitere Alkaloide, welche die weißen Blutkörperchen im Kampf gegen Bakterien, Viren und Gifte aktivieren. Zudem soll Katzenkralle-Pulver die Produktion der weißen Blutkörperchen erhöhen und die Aktivität der Fresszellen steigern. Übrigens: Auch die Acerola gehört im weitesten Sinne zu den Lianen…
Der thailändische Dschungel: Schön und geheimnisvoll Dr. Oldhaver gönnt sich einen Schluck aus der Liane
Neben dieser Heilwirkung können einem Lianen im Regenwald auch ganz praktische Dienste leisten, indem sie nämlich den Durst löschen. Mein Führer demonstrierte mir dies, in dem er eine Liane nahm und sie mit wenigen Hieben mit der Machete durchtrennte. Heraus strömte eine klare, süßlich bis neutral schmeckende Flüssigkeit, die ich mir genüsslich in den Mund laufen ließ. Doch Vorsicht! Nicht jeder Saft einer Liane ist trinkbar. Als Faustregel gilt, dass gerade wachsende Lianen trinkbare Flüssigkeiten enthalten während der Saft stark geringelter Lianen eher ungenießbar ist. Man sollte auf jeden Fall kurz abschmecken, bevor man sich das erfrischende Nass in die Kehle laufen lässt. Schmeckt es bitter, sollte man es lieber lassen. Das südamerikanische Pfeilgift Curare wird übrigens auch aus der Rinde einer Lianenart gewonnen…
Nachdem ich meinem Führer rund zwei Stunden durch den stickig-schwülen Urwald gefolgt war, hatten wir viele Lianen gesehen, nicht aber die mit Sehnsucht erwartete Rafflesia. Endlich kamen wir in das Areal, in dem die Rafflesia zurzeit blühen sollte. Und schon fanden wir die ersten Knospen der Rafflesia, die wie große glatte Bälle aus dem Boden ploppten. Dazu muss man wissen, dass die Pflanze weder Blätter noch Wurzeln besitzt. Sie betreibt also keine Photosynthese sondern lebt mit einem Myzel-artigen Geflecht (wie bei Pilzen) innerhalb ihrer Wirtspflanze, der Liane und klaut sich dort die Nährstoffe.
Man muss also direkt nach der Blüte suchen, denn nur diese ist sichtbar – und wenn man sie dann erstmal entdeckt hat, ist sie nicht zu übersehen: Erhaben, majestätisch, tiefrot und mit einem Durchmesser von bis zu einem Meter und elf Kilo Gewicht liegt sie in der Regel direkt auf dem Boden auf. Außerdem strömt sie einen faulig-üblen Geruch nach verwesendem Fleisch aus, um Insekten zur Bestäubung anzulocken. Früchte werden nur selten ausgebildet und wenn ja, enthalten sie bis zu mehrere tausend Samen. Nach vier bis sieben Tagen zerfällt die Blüte schon wieder zu einem zähen schwarzen Schleim. Daher war ich glücklich, die kurze Blüte dieser großartigen Pflanze miterleben zu dürfen.