Ein Zwischenziel meiner Expeditionsreise war Lambaréné, ein Ort in Gabun, in dem Albert Schweizer 1913 sein Dschungelhospital gründete. Auf dem Weg dorthin wollte ich einen Schamanen treffen, der mir ein paar Dinge über die Heilkunst der Menschen in diesem Teil Afrikas erzählen sollte. Auf dem Weg nach Lambarene fuhr ich durch ein Gebiet, in dem noch vor rund 60 Jahren Kannibalen gelebt haben sollen. Mein Fahrer warnte mich, in dieser Gegend niemals anzuhalten, man wisse nie, welche Kreaturen sich hier noch herumtreiben würden. Zunächst wies ich diese Behauptung ins Reich der Legenden. Durch Zufall las ich dann aber in den Memoiren von Albert Schweitzer dass dieser ebenfalls von kannibalistischen Umtrieben in der Gegend von Benguié berichtete, so dass mir im Nachhinein ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ob die vielen Straßensperren mit diesen unheimlichen Geschichten zusammenhingen oder eher eine Gelegenheit für die Verkehrspolizei darstellte, sich mit Strafgebühren auf Kosten der Autofahrer zu bereichern, lasse ich mal dahin gestellt.
Fakt ist zumindest, dass in der Gegend um Owendo die Sekte „Neues Leben“ ihr Unwesen treibt, die mit Hilfe der Iboga Droge (von der später noch die Rede sein wird) Menschen die Türen des Himmels zum Reich der Toten öffnen und heilen will, wo die Seele verletzt ist. Laut lokaler Polizei sollen in den letzten Jahren mindestens sieben Menschen im Namen der Sekte geopfert und deren Innereien von den Sektenmitgliedern verspeist worden sein. Aber hier soll nicht von unheimlichen Räubergeschichten die Rede sein, sondern von der Art wie die Naturheilkunde praktiziert wird.
Wir hielten schließlich in einem kleinen Dorf, wo mich Paul bereits erwartete. Paul ist Schamane und wollte mich in einige Geheimnisse der zentralafrikanischen Heilkunst einweisen. Als Paul mir sagte, er werde mir eine Naturapotheke zeigen, dachte ich zunächst an eine kleine Hütte, in der ein altes Mütterchen diverse Kräuter und Pulver zum Verkauf anbietet. Weit gefehlt! Die Naturapotheke entpuppte sich als kleine Lichtung im Wald in der Nähe des Dorfes, der so genannten Mbandja, auf der ein paar Baumstämme als Sitzgelegenheiten herumlagen. Hier treffen sich die Dorfbewohner regelmäßig, um Krankheiten zu erörtern und gemeinsam nach Heilmethoden zu suchen. Die erforderlichen Heilkräuter stellt der Wald in ausreichendem Maße zur Verfügung – Die Natur selbst ist die „Apotheke“ oder auch Bwenze.
Es gibt auch keinen Arzt bzw. Heiler in unserem Sinne, die Heilung wird vielmehr von den Dorfältesten gemeinsam übernommen. Ein Schamane ist hier demnach kein „Beruf“, es ist eine Funktion, die jedes Mitglied der Dorfgemeinschaft mit dem entsprechenden Wissen und der notwendigen Erfahrung zum Wohle der Mitglieder ausüben kann. Das Wissen stammt nicht aus Lehrbüchern sondern aus jahrhundertealter Erfahrung, die mündlich an die nächste Generation überliefert wird.